Wenn es an Weihnachten in die Kindheit zurückgeht

Berlin – Wer an Weihnachten zu Mutter und Vater fährt, reist oft auch zurück in die Kindheit. «7 Kilo in 3 Tagen» heißt ein Bestseller aus dem vergangenen Jahr über dieses Phänomen.

In dem Buch schildert der Autor Christian Huber, der unter anderem für Jan Böhmermanns «Neo Magazin Royale» arbeitet, wie ein kinderloser Mittdreißiger in seinem zugestellten früheren Kinderzimmer übernachtet und wie die Eltern ihn zum Fest mästen: «Die Zeit, die man über Weihnachten bei seinen Eltern bleibt, wird nicht in Tagen, sondern in Mahlzeiten gerechnet.» Oder: «Zwischen den Zwischenmahlzeiten, die es zwischen den Hauptmahlzeiten gibt, gibt es bei meinen Eltern immer noch Snacks und Kuchen.»

Alte Schulfreunde treffen

Das Buch verdichtet die Geschichte von Millionen Deutschen, die sich kurz vor dem Fest ins Auto oder in den Zug setzen, um in die Orte zurückzufahren, in denen sie aufgewachsen sind. Dort gibt es dann Rituale wie den sogenannten Homecoming-Get-Together-Umtrunk – also das alkohollastige Treffen mit Freunden aus der Schulzeit am Vortag oder Vormittag von Heiligabend.

In diesem Jahr hat Huber nachgelegt und ein zweites Buch zum Thema geschrieben. Es heißt: «Alle anderen können einpacken». Der 34-Jährige ist ein Experte fürs Über-Weihnachten-nach-Hause-Fahren und glaubt zu wissen, warum das Fest emotional so kompliziert ist.

«Die Feiertage sind eine Art Pause-Taste vom Lebensstress, auf die sich alle geeinigt haben», sagt Huber. «Jetzt muss so eine Pause natürlich wieder perfekt sein. Immerhin hat man so selten eine. Also lädt man sie auf, mit Kitsch, übermäßig vielen Besuchen, Geschenken und, und, und – statt einfach einen Schritt zurück zu machen und das zu genießen, was man hat: Zeit.»

Politische Themen unter dem Tannenbaum

In seinem zweiten Buch schneidet Huber auch das Thema an, das seit drei Jahren gerade zum Fest, wenn viele zusammenkommen, Familien und Freunde entzweien kann: die Einwanderungspolitik. Zumindest begegnet seine Figur Bastian Kollinger einer Bekannten aus der Schulzeit, die recht eindeutig rassistische Denkweisen offenbart.

Er hoffe eigentlich, dass es heutzutage wieder politischer unterm Weihnachtsbaum zugehe als noch vor ein paar Jahren, sagt Huber. Die Weihnachtszeit verdeutliche in Deutschland doch sehr, wie gut es uns gehe. «Ich finde es aber auch immer sehr amüsant, wie sich alle bemühen, die Festtage möglichst harmonisch zu halten und politische Themen zu vermeiden wie bei dem Gesellschaftsspiel «Tabu» – bis dann jemand einen falschen Begriff sagt.»

Auch der Unterhaltungswissenschaftler
Sacha Szabo, der das Weihnachtsfest mit seinen Bräuchen im Laufe der Zeit erforscht hat, weiß, dass zum heiligen Fest nicht alles heil ist. «Weihnachten, so wie es heute medial inszeniert wird, als biedermeierliche Großfamilie, die sich unter dem Tannenbaum versammelt, könnte man als Reflex auf die gesellschaftlichen Umbrüche der Spätmoderne deuten», sagt der Weihnachtsexperte, Herausgeber des Sammelbands ««Fröhliche Weihnachten». X-Mas Studies. Weihnachten aus Sicht der Wissenschaft».

Familiäre Konflikte

«Nur weil man die Konflikte ausblendet, sind diese natürlich nicht verschwunden», sagt Szabo. «Hinzu kommen Rollenkonflikte, denn die Kinder sind nun erwachsen, vielleicht selbst Eltern. Außerdem gibt es immer unausgesprochene familiäre Konflikte und es genügt schon ein Funke, um diese auf engstem Raum verdichtete soziale Gemengelage explodieren zu lassen.»

Szabo betont aber, dass aus seiner Sicht früher nicht alles besser gewesen sei: «Natürlich hat sich Weihnachten in den letzten Jahrzehnten verändert, es ist profaner geworden.» Gerne würde die Kommerzialisierung beklagt und dass der religiöse Kontext vergessen wird. «Man kann das alles beklagen, sollte aber dabei bedenken, dass Kultur beständig im Wandel ist.» Früher, als man noch nützliche Dinge wie Socken und Haushaltsgeräte verschenkte und pflichtschuldig in die Messe ging, sei «weniger Lametta als heute» gewesen.

Bestseller-Autor Huber empfiehlt vor allem Humor beim Fest mit der Verwandtschaft: «Man sollte sich – soweit möglich – zurücklehnen und dieses Aufeinanderprallen von Familie, totaler Besinnlichkeit und Festschmaus auf sich wirken lassen wie einen langen Loriot-Film.»

(dpa)

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