Bierbauch, olle Kleidung: Wenn sich der Partner gehen lässt

Berlin – Immer wie aus dem Ei gepellt. So sah der Partner früher aus. Es war die Zeit des Anbändelns. Er hatte einen durchtrainierten Körper und achtete vor jedem Rendezvous genau auf seine Kleidung. Sie schminkte sich mit größter Sorgfalt und warf sich vor dem Treffen in Schale.

Aus den beiden wird ein Paar, sie ziehen zusammen, und eines Tages heiraten sie. Doch mit den Jahren zieht, was ganz natürlich ist, der Alltag ein. Das kann mitunter auch dazu führen, dass der eine – zum Missfallen des anderen – sein Äußeres vernachlässigt.

«Du lässt dich geh’n, du lässt dich geh’n», besang Charles Aznavour eine Frau, die nicht mehr so zurechtgemacht aussieht wie einst, an Gewicht zugelegt hat und mit Lockenwicklern durch die Wohnung läuft. Aber vielleicht ist es auch der liierte oder verheiratete Mann, der mit einem Mal weniger für sein Aussehen tut. Die Erklärung hierfür kann simpel sein, wie Maxim Tenenbaum von pro familia in Berlin sagt: «Die Jagd nach einem Partner ist vorbei, also muss die Fassade nicht mehr poliert werden.»

Die feste Beziehung wird also als ein Bereich gesehen, in dem man sich zurücklehnen kann und den anderen nicht mehr von sich überzeugen muss. «Viele haben womöglich über lange Zeit versucht, ein schönes Bild darzustellen, lassen nun locker und wollen so geliebt werden, wie sie wirklich sind», erklärt die Psychologin Birgit Spieshöfer. Darum zeigen sie sich in einer festen Beziehung möglicherweise auf einmal anders als zuvor und müssen oft erst selbst herausfinden: Wie bin ich? Das muss an sich nicht negativ sein. «Aber wenn es den Partner stört, dann sollte er oder sie es thematisieren», rät Christine Backhaus, ebenfalls Psychologin.

Denn das Sich-gehen-lassen könnte auch Ausdruck einer mangelnden Wertschätzung des anderen sein – «Du bist es mir nicht mehr wert, dass ich mich für Dich hübsch mache». Wie es dazu kommen konnte, sollte dann gemeinsam ausgelotet werden. Eine starke Gewichtszunahme kann ein Hinweis auf Frust und Kummer sein, unverarbeitete Konflikte werden mit übermäßigem Essen kompensiert. Wer in oller Kleidung herumläuft, will vielleicht mehr oder weniger bewusst Ärger und Wut zum Ausdruck bringen. «Möglicherweise will man dem Partner signalisieren: Kümmer Dich mehr um mich», so Tenenbaum.

Hinter dem Vernachlässigen des Erscheinungsbildes kann sich auch eine Antriebslosigkeit in Form einer Depression verbergen. Die wahre Ursache kann ein Partner nur gemeinsam mit dem anderen herausfinden: «Grundsätzlich sollte aber bedacht werden, dass gewisse äußerliche Veränderungen völlig normal sind», betont Spieshöfer. Alle verändern sich, und wer etwa in jungen Jahren akribisch auf sein Gewicht geachtet hat, nimmt womöglich später drastisch zu – «er oder sie hat einfach keine Kraft mehr für ein übermäßig diszipliniertes Verhalten.» Ebenfalls nicht ungewöhnlich ist, dass das Aussehen und was andere von einem denken, unwichtiger wird.

Wen das Auftreten des Partners aber wirklich stört, der muss das ansprechen. «Es geht dann nicht darum, den Partner zu beschämen», stellt Tenenbaum klar. Aber man sollte unmissverständlich seine Gefühlslage zum Ausdruck bringen und konkret sagen, was einem missfällt – und warum man sich dadurch vielleicht zu wenig wertgeschätzt fühlt.

Wichtig ist dabei, den anderen nicht mit Vorwürfen zu überhäufen, sondern möglichst sachlich Wünsche zu äußern. Etwa, dass der Partner sich zum gemeinsamen Essen mal wieder richtig schick machen könnte – so wie früher. Auch das gemeinsame Anschauen älterer Fotos kann womöglich dazu beitragen, den Partner «wachzurütteln», wie Backhaus sagt. Denn möglicherweise ist ihm gar nicht so bewusst, dass er nicht mehr so gepflegt aussieht wie einst.

Eine Lösung kann auch sein, miteinander zu verhandeln, so Backhaus: «Wenn Du mal wieder dieses tust, dann würde ich im Gegenzug jenes machen.» Wünsche an den Partner sind wichtig und normal, aber einen Wunsch sollte man auch verneinen können, wie Tenenbaum betont.

Da sollte man sich selbst fragen, ob es noch eine gemeinsame Basis gibt oder man sich einen ganz anderen Menschen wünscht. Ähnlich sieht es Spieshöfer: «Man sollte den anderen so akzeptieren können wie er ist.» Letztendlich ist er immer noch der gleiche Mensch – wie zu Beginn der Beziehung.

Fotocredits: Karolin Krämer
(dpa/tmn)

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