Digitale Materialien drängen in Schulen

Mainz – In der Realität steht William Lindlahr in einem Vorlesungssaal der Uni Mainz, virtuell befindet er sich in einem Klassenzimmer mit Kacheln auf dem Boden und physikalischen Geräten auf dem Tisch. Lindlahr wischt auf seinem Tablet herum.

Im Programm zieht er so mit einer Spritze Salzsäure auf, lässt sie durch eine Kapsel mit radioaktivem Material laufen und misst die Flüssigkeit dann mit einem Geigerzähler. «Versuche mit radioaktiven Präparaten sind nicht mehr an allen Schulen möglich», sagt der Physik-Doktorand der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Sein Virtual-Reality-Experiment wird ab diesem Jahr auch in Schulen in Rheinland-Pfalz eingesetzt. «Wir wollen reale Experimente nicht ersetzen», betont er. «Aber wenn es Gefahren gibt, machen virtuelle Experimente Sinn.» Auch könnten Schüler sie dann Zuhause nachmachen, so oft sie wollten. Dabei ist Lindlahr wichtig, dass die digitalen Versuche auch schiefgehen können, so etwa wird bei falscher Bedienung ein Kurzschluss produziert. Und wer sich beim Strahlen-Experiment keine Handschuhe angezogen hat, erntet vom Programm Kritik.

Digitale Lernmaterialien halten zunehmend Einzug an rheinland-pfälzischen Schulen. Nach Angaben des Bildungsministeriums sind schon an vier Fünfteln der weiterführenden Schulen und an zwei Dritteln der Grundschulen interaktive Präsentationsmöglichkeiten wie Whiteboards, also digitale Tafeln, im Einsatz. Für ihre Hausaufgaben nutzen Schüler ohnehin ständig Youtube-Videos, Wikipedia-Artikel und Blog-Einträge. Was die Frage aufwirft, wer sich um die Lieferung der digitalen Inhalte kümmert.

Forschungsprojekte an Unis wie das von Lindlahr stellten im deutschsprachigen Raum nur einen geringen Anteil, sagt die Pädagogin Eva Matthes von der Universität Augsburg bei einer Tagung zu digitalen Schulmaterialien. Rund 611 000 kostenlose Angebote fänden sich im Internet. Rund drei Viertel davon würden auf Plattformen von Lehrern für Lehrer zur Verfügung gestellt. Vereine und Stiftungen machten zehn Prozent des Materials aus, Unternehmen drei Prozent. «Damit wird zwar zumindest nicht direkt Geld verdient, aber doch gezielt Werbung oder eine spezifische Sichtweise in Schulen hinein gebracht.»

Die Mainzer Lehrerin Sybille Manthey nutzt die mit dem Internet verbundene digitale Tafel in ihrer Schule gerne im Unterricht. Darauf surft sie aber nicht wild herum, sondern zeigt  Erklärfilme, Bilder und Karten aus den digitalen Schulbüchern, manchmal spielt sie auch ein Hörspiel ab oder zeigt Lösungsvorschläge für die Übungsaufgaben. «Digital kann ich das Schulbuch viel intensiver ausbeuten», sagt sie.

Lisa Winter, die in Mainz gerade ihr Referendariat macht, setzt auch ausgewählte Youtube-Videos im Unterricht ein. «Ich spreche mit den Schülern darüber, wie geeignet die Videos sind, damit sie sich kritisch damit auseinander setzen», sagt sie. Bei ihren Fünftklässlern nutze sie das Whiteboard kaum. «Die Kinder sollen auch selbst kreativ werden, selbst etwas basteln. Da achte ich drauf.»

Studien zeigen laut Professorin Matthes, dass 80 Prozent der Lehrer schon einmal kostenloses Lehrmaterial aus dem Internet gezogen haben. Nach Ansicht des Vorsitzenden der Lehrergewerkschaft GEW in Rheinland-Pfalz, Klaus-Peter Hammer, herrscht bei Lehrern aber große Unsicherheit in Bezug auf rechtliche Probleme, die mit der Nutzung einhergehen. Das Kultusministerium habe dazu zwar eine Broschüre herausgegeben, damit sich die Lehrer nicht strafbar machen. «Aber so ganz klar ist es noch immer nicht.» Er wünscht mehr Schulungen für die Lehrer – sowohl für die Inhalte, als auch die Geräte.

Hjalmar Brandt, Landesgeschäftsführer des Verbands Bildung und Erziehung in Rheinland-Pfalz, hätte gerne eine Ausstattung mit digitalen Geräten und Inhalten für alle Schulen – und sogar für Kindergärten. «Wenn sie in der Schule in der Steinzeitwelt leben, und die Kinder leben außerhalb in einer Hightech-Welt, dann können Sie nicht mehr viel ausrichten.»

Das Bildungsministerium will das Lehren und Lernen mit digitalen Mitteln als Standard an allen weiterführenden Schulen umsetzen. Im seit 2007 bestehenden Programm «Medienkompetenz macht Schule» würden Lehrer fit für den Umgang und der Auswahl digitaler Medien gemacht. Und auf dem landeseigenen Medienportal Omega stünden den Lehrern mehr als 15 000 Medienbausteine kostenlos zur Verfügung – von Experten des Bildungsministeriums auf Korrektheit und Wert geprüft.

Das scheint erfolgreich zu sein: In einer – allerdings nicht repräsentativen – Länderstudie im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung nimmt Rheinland-Pfalz bei der Digitalisierung der Schule einen Spitzenplatz ein. Die Mainzer Lehrerin Manthey meint, ihre Schüler wüssten gute Lernmaterialien sehr wohl zu schätzen. So vergleich sie im Unterricht auch mal das digitale Schulbuch mit einem Wikipedia-Eintrag. Die Schüler sagten dann: «Das Buch entspricht viel mehr unserer Sprache. Und es ist viel kompakter.»

Fotocredits: Oliver Dietze
(dpa)

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