Entlastungsangebote – Pflegebedürftige bekommen Alltagshilfe

Berlin – Frau Groll* wohnt im vierten Stock ohne Fahrstuhl. Sie ist eine sehr angenehme und auch witzige ältere Dame. Frau Groll ist 89 und seit einem Sturz vor viereinhalb Jahren an den Rollstuhl gebunden.

«Im Januar 2014 war alles vorbei. Da musste ich dann anfangen mit dem ambulanten Pflegedienst», sagt sie. Frau Groll hat heute Pflegegrad 3. Seit mehr als 40 Jahren sei sie mit einer türkischen Familie eng befreundet. Von den drei Schwestern kommt eine regeläßig und kauft ihr ein oder hilft beim Duschen. Frau Groll ist alleinstehend, hat keine Kinder. «Das ist meine Familie», sagt die Berlinerin.

Mit dem ambulanten Pflegedienst sei sie unzufrieden gewesen «mit dem Saubermachen», sagt Frau Groll. Männer könnten das eh nicht so gut und dann «sind sie auch immer eilig und haben ja auch nur eine Stunde Zeit».

Deshalb kommt zudem jetzt montags Frau Kramer*, um den Haushalt zu versorgen. Und jeden zweiten Donnerstag kommt sie zum Einkaufen, zum Unterhalten und Tee trinken. «Sie wäscht dann auch ab.» Manchmal hänge sie Wäsche auf oder nehme sie ab und räume sie ein. «Waschen tu‘ ich selber», sagt Frau Groll. 

Frau Kramer ist Anfang 50. Sie ist keine Pflegefachkraft, sie hat eine hauswirtschaftliche Ausbildung gemacht. Aber sie hat Erfahrung in der Betreuung pflegebedürftiger Menschen. «Ich habe ja zwei ambulante Pflegestellen», sagt Frau Groll: den herkömmlichen Pflegedienst durch Pflegefachkräfte und dann Frau Kramer. «Und da bin ich sehr froh drüber.»

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts (2015) werden von den 2,9 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland knapp 2,1 Millionen, also fast drei Viertel, zu Hause betreut, gut 780 000 in Heimen. Zu Hause werden 1,38 Millionen von Angehörigen gepflegt, und rund 700 000 durch ambulante Pflegedienste. Es gibt 13 300 ambulante Pflegedienste mit knapp 356 000 Beschäftigten und 13 600 Heime mit 730 000 Beschäftigten. 

Unter den ambulanten Pflegediensten sind solche, die Menschen im Alltag wie im Fall von Frau Groll und Frau Kramer betreuen, noch relativ wenig vertreten. Aber grade bei dieser niedrigschwelligen Betreuung sehen die Pflegekassen einen großen Bedarf.

Insbesondere bei den Menschen, die zum Jahreswechsel mit der neuen Einstufung von Pflegebedürftigkeit in den Pflegegrad 1 kamen, sind solche Betreuungsdienste eine interessante Alternative oder eine Ergänzung zu einer herkömmlichen ambulanten oder teilstationären Pflege, sagte der Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes (MDS), Peter Pick.

Der MDS rechnet damit, dass 2017 zusätzlich rund 200 000 Bedürftige erstmals Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geht mittelfristig sogar von zusätzlich 500 000 Leistungsempfängern aus.

Nach dem Sozialgesetzbuch steht allen Pflegebedürftigen aller fünf Pflegegrade (Paragraph 45b SGB XI) ein Entlastungsbetrag von bis zu 125 Euro im Monat zu. Diesen nimmt Frau Groll heute für Frau Kramer in Anspruch. Sie bezahlt ihn zunächst an ihren Betreuungsdienst, in diesem Fall heißt er HomeInstead (etwa: Besser Zuhause), und bekommt ihn dann von der Pflegekasse erstattet.

Beispiele für niedrigschwellige Entlastungsangebote sind stundenweise Betreuung, Unterstützung bei sozialen Kontakten, Unterstützung im Haushalt, Begleitung zu Aktivitäten außerhalb der Wohnung wie Einkauf oder Kinobesuch. «Leider sind Leistungen wie die Unterstützung im Alltag noch zu wenig bekannt. Das muss sich ändern. Versicherte und Pflegebedürftige sollten sich gezielt und direkt an ihre Pflegekassen wenden», sagt der Vorstand des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Gernot Kiefer, der dpa.

Die Anbieter solcher
Entlastungsangebote müssen nach Landesrecht anerkannt sein. «Wir verstehen uns nicht als klassischer Pflegedienst, sondern mit Fokus auf stundenweise Betreuungs- und Entlastungsleistung», sagt Jörg Veil, Chef eines dieser ambulanten Pflegedienste mit niedrigschwelligen Betreuungsangeboten und auch Verbandschef. «Der Anteil, den wir mit Sozialhilfeträgern abrechnen und insbesondere mit den Pflegekassen, manchmal aber auch mit den Sozialämtern oder anderen Trägern, liegt durchaus bei 70 bis 80 Prozent in den Betrieben. Reine Privatkunden sind ganz, ganz wenige, private Zuzahlungen haben wir schon häufiger.»

Beim GKV-Spitzenverband heißt es, Zahlen zum Markt von Anbietern, die Unterstützung beziehungsweise Hilfe im Alltag anbieten, gebe es nicht. Die bundesweit tätigen Unternehmen der HomeInstead-Gruppe, eine Geschäftsidee aus den USA, die in Lizenz in Deutschland vergeben wird, machen in diesem Jahr mehr als 40 Millionen Euro Umsatz. Im vergangenen Jahr seien es noch 20 Millionen Euro gewesen, sagt Veil. Daran sei zu sehen, «wie stark wir aktuell wachsen». Denn «der Markt und der Bedarf ist da. Wir werden da auch gut angenommen.»

Frau Groll würde gerne mal wieder eine Oper oder ein Museum besuchen. Doch das ist nicht so einfach. Sie müsse sich die vier Stockwerke von einer Krankentransportfirma runtertragen lassen und einen Rollstuhl vom Roten Kreuz leihen. Runter- und anschließend Rauftragen koste 100 Euro. Das ist dann nicht mehr so oft drin. Aber: «Einmal im Monat will ich mir das ans Bein binden.»

Fotocredits: Maurizio Gambarini
(dpa)

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