Grüne Stunde für Alte und Kranke

Berlin – Im Hochbeet auf dem Hof des Seniorenhauses sprießen Schnittlauch, Salat und Gewürztagetes. In einem anderen Kasten macht sich eine Kürbispflanze breit. Unweit davon rankt eine Trichterwinde mit blauen Blüten.

Jede Woche treffen sich hier ältere Menschen zur «Grünen Stunde» mit Gartentherapeutin Marlit Bromm. Blätter anfassen, Früchte probieren, Rosen schnuppern, Samen in kleine Töpfe legen – «Inseln schaffen, in denen es ihnen gut geht», das sei das Anliegen für die offene Runde, sagt die gelernte Gärtnerin.

Gartentherapie

Einige der Bewohner sind an Demenz erkrankt. Auch wenn kognitive Fähigkeiten verschwinden, seien die Sinne da, meint Bromm. Da knüpfe sie an. «Gerüche zum Beispiel können Erinnerungen und klare Momente auslösen», sagt die 49-Jährige. Sie freut sich, wenn dann Menschen zu sprechen beginnen, die lange nichts gesagt haben. «Das ist ein wunderschöner Austausch».

Bromm erinnert sich an eine schweigsame Dame, die stets abseits saß. Als die Gartenfrau einmal ein Blatt von einem Götterbaum mitbrachte und die Größe schätzte, kam plötzlich Einspruch aus der stummen Ecke: «Das ist keinen Meter lang». Das Nachmessen habe dann 97 Zentimeter ergeben. Die Seniorin war früher Schneiderin mit feinem Augenmaß.

Die Einrichtung an der Danziger Straße hinter einem Hochhaus-Komplex in Berlin-Friedrichshain hat sich Bromm nach ihrer Gartentherapie-Weiterbildung selbst gesucht – und rannte offene Türen ein. Nun kommt sie schon seit zehn Jahren hierher zum Pflanzentreff und Basteln mit Naturmaterialien. Jeder Monat hat ein anderes Thema, im Juni ging es um Beeren.

Ältere Menschen mit psychischen Störungen

Daneben begleitet die Selbstständige mit dem grünen Faible und vielen Ideen ältere Menschen mit psychischen Störungen in einem Berliner Krankenhaus. Nach Bromms Schätzung sind etwa 30 bis 25 Gartentherapeuten in Berlin unterwegs.

Der Beruf sei in Deutschland nicht staatlich anerkannt, bedauert die Gartenfrau. «In England kann man das richtig studieren.» Die Mutter zweier Kinder hatte zunächst Gartenplanung und Landespflege in Berlin studiert. Nachdem sie auch Privatgärten gestaltete, habe sie Neues gesucht. «Das liegt mir, auf Leute zuzugehen – die Diagnose ist zweitrangig», meint Bromm, die im Brandenburgischen aufwuchs.

Viele Menschen erkrankten psychisch, macht sich die Therapeutin Sorgen. Der Druck in der Arbeitswelt nehme enorm zu. Da seien Natur, Pflanzen, Wald, Grünes wichtig, ein Schlüssel zum Wohlbefinden. «Da muss ein Umdenken stattfinden.» Die gelernte Gärtnerin ist aber gegen «Zwangsbeglücken» von Menschen. Sie mache Angebote und gebe Anregungen. So könne man auch auf dem Weg zur Apotheke ganz bewusst schauen, was da am Wegesrand wächst, und sich die Farben ansehen.

Ausbildung zum Gartentherapeuten

Mehrere Einrichtungen bieten in Deutschland eine private Ausbildung zum Gartentherapeuten an. Bei der Internationalen Gesellschaft Gartentherapie, die selbst Seminare anbietet, kann man sich dann über ein Punktesystem als Therapeut registrieren lassen.

Jedes Stückchen Grün und Natur habe das Potenzial, therapeutisch und sozial genutzt zu werden und so zur Gesundheit des Einzelnen beizutragen, heißt es auf der Website des im hessischen Grünberg ansässigen Vereins.

Mitglieder sind etwa der Zentralverband Gartenbau, die Wiener Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik, der Deutsche Verband der Ergotherapeuten und eine Schweizerische Gesellschaft für Gartentherapie.

In Berlin sagt die Managerin der Senioren-Einrichtung an der Danziger Straße, die grüne Gartenstunde «macht ganz viel» mit den Teilnehmern. Die Zeit halle nach, sagt Corinna Wiesner-Andersch. Das könne auch ein Butterbrot mit selbst gezogener Kresse sein.

Fotocredits: Kristin Bethge,Kristin Bethge,Kristin Bethge,Kristin Bethge,Kristin Bethge
(dpa)

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