Warum offene Beziehung nicht das Ende der Partnerschaft ist

München – Für die einen ist und bleibt es eine attraktive Fantasie, für andere ist es gelebte Wirklichkeit. Und für wieder andere die einzige Möglichkeit, ihre Partnerschaft zu retten. Eine offene Beziehung bedarf großen Engagements, Kommunikation und Ehrlichkeit.

Unter diesen Voraussetzungen kann sie eine echte Bereicherung, aber kein Allheilmittel sein, meinen Experten. «Für meine Klienten habe ich den Begriff der geöffneten Beziehung entwickelt», sagt der Systemische Paartherapeut Jochen Rögelein aus München. Er verwendet dafür das Bild eines Seils, das um zwei Menschen herum liegt. So entsteht eine Außen- und eine Innenwelt.

«Bei einer offenen Beziehung tut man so, als ob diese Grenze nicht existieren würde», erläutert Rögelein. In einer geöffneten Variante hingegen bekomme diese Grenze ein Gartentor, durch das einer oder beide nach draußen gehen kann oder jemand von außen hereinkommt.

Trotzdem beziehe sich die Gemeinschaft immer noch aufeinander als exklusive Einheit, erklärt Bettina
Steingass, Systemische Paartherapeutin aus der Nähe von Frankfurt. Im Gegensatz zu polyamoren Paaren, die mehrere Beziehungen leben. Welche Spielart man auch wählt, das Wichtigste ist, dass beide Partner voll und ganz damit einverstanden sind. «Sonst ist es keine offene Beziehung», sagt Steingass. Macht einer der beiden nur mit, weil er den anderen nicht verlieren will, wird es schwierig.

Und genau hier beginnt die eigentliche Arbeit. Alle Beteiligten müssen eine Verhandlungskultur etablieren und definieren, für wen oder was sie sich öffnen wollen. Gilt dies nur für einen oder für beide? Geht es um ein anderes Paar oder Partnertausch? Steht der sexuelle Kontakt im Vordergrund? «Auch in klassischen Beziehungen gibt es Regeln, sie werden nur oft nicht ausgesprochen», sagt Mathias Miklaw. Er ist Systemischer Beziehungsberater mit Sitz in Berlin.

Seine Kollegin findet ebenfalls, dass die Unterschiede nicht so groß sind. Ab und an sollte ein monogam lebendes Paar gleichfalls seine Regeln überprüfen, rät Steingass. «Der Alltag muss verhandelt werden, damit für die Liebe genug Zeit und Platz ist.»

Bei manchen Paaren kann eine geöffnete Beziehung zur Notwendigkeit werden, beispielsweise wenn einer der beiden bisexuell ist oder eine voyeuristische Neigung hat. Dann lassen sich diese Bedürfnisse in einer geschlossenen Beziehung nicht immer befriedigen. «Diese Paare brauchen dann die Fähigkeit, die Dinge genau beim Namen zu nennen», sagt Rögelein. «Sie benötigen mehr Achtsamkeit für den Partner und für sich selbst.»

Gegen die häufig aufkommende Eifersucht helfe meist nur Transparenz. In einer offenen Beziehung werde über das Thema Eifersucht viel bereitwilliger gesprochen, sagt Steingass. Auch über die Gefahr, dass einer der beiden sich verlieben könnte, muss geredet werden.

Eifersüchtig zu sein, sei nicht das Problem, so Miklaw. Die Frage sei eher, wie beide damit umgingen. «Ich kenne Paare, die andere im Swingerclub kennen lernen und sie dann aber mit zu sich nach Hause nehmen», erzählt Rögelein. «So sehe ich, was der Partner gerade macht. Ich male es mir nicht nur aus.»

«Es kann schon eine Bereicherung sein, nur über die Fantasie einer offenen Beziehung zu reden, das bringt Paare näher zusammen», sagt
Miklaw. Über seine Bedürfnisse zu sprechen, schaffe eine große Intimität zwischen den Partnern, auch ohne sämtliche Fantasien auszuleben. Steingass empfiehlt, falls das Thema aufkommt, neugierig und aufgeschlossen gegenüber Veränderungen zu bleiben. «Man muss nicht sofort Angst bekommen, manchmal geht es auch nur darum, sexuell etwas anderes miteinander auszuprobieren.»

Grundsätzlich gilt: Wird die Phase der offenen Beziehung abgebrochen, ist nichts mehr so wie vorher. Das muss jedoch nicht das Ende der Liebe bedeuten. Wenn die Verhältnisse für einen Beteiligten nicht stimmen, muss eben neu verhandelt werden.
Rögelein sieht eine geöffnete Beziehung in einigen Fällen sogar als die Rettung einer Partnerschaft. Etwa dann, wenn es um sexuelle Probleme geht.

Fühlt sich ein Partner nicht befriedigt, sucht er oder sie in der Regel eine Affäre, was im digitalen Zeitalter relativ schnell auffliegen kann. «Und dann hat das Paar ein noch viel größeres Problem», sagt Rögelein. «Die Beziehung zu öffnen, kann für ein Paar einen Schritt vorwärts bedeuten», meint Miklaw. «Sozusagen das Update einer Partnerschaft, die Beziehung 2.0.»

Fotocredits: zerocreatives
(dpa/tmn)

(dpa)

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