Wie Senioren wieder fit für Bäder und Seen werden

Augsburg – Jahrzehnte war Alinde an keinem Badesee mehr. Nun steht die 73-Jährige am Beckenrand des Plärrerbads in Augsburg. Sie schielt zu ihrem Schwimmlehrer: «Schubs mich bitte nicht rein!» Hinter ihr reihen sich fünf weitere Teilnehmer.

Wie Alinde besuchen manche von ihnen den Kurs, weil sie lange nicht mehr geschwommen sind. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, das Ziel ist dasselbe: mehr Selbstvertrauen im Wasser.

Im vergangenen Jahr sind der
Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) zufolge mindestens 504 Menschen in Deutschland ertrunken. Auffällig: 40 Prozent waren älter als 55 Jahre. Laut DLRG ist dieser Anteil an der Gesamtzahl der Ertrunkenen «besorgniserregend steigend». Ende Juni kamen allein in Bayern innerhalb einer Woche mindestens vier Senioren beim Baden ums Leben. Vergangenen Sonntag suchten Taucher, Drohnen und Hubschrauber nach einem 57-Jährigen im Bodensee – vergebens.

Gesundheitliche Probleme

«Die hohe Zahl der Ertrunkenen in dieser Altersgruppe ist uns das erste Mal aufgefallen», sagt DLRG-Pressesprecher Achim Wiese. Sicherlich spiele das heiße Wetter eine Rolle, da es mehr Badegäste locke. Aber auch gesundheitliche Probleme seien Gründe für die hohe Zahl. «Unterzucker kann fatal sein. Es können aber auch Vorerkrankungen Ursache sein, von denen Senioren nichts wissen, sie verdrängen oder ignorieren.»

Der
bayerische Landesverband hat reagiert und möchte mit speziellen Schwimmkursen aufklären. Ziel ist es, älteren Menschen wieder Sicherheit im Wasser zu vermitteln und somit die Zahl der Badeunfälle zu verringern. Im Frühjahr starteten die ersten kostenlosen Präventionskurse in Augsburg, Bayreuth, Bad Kissingen und Münchberg. Unterstützt wird das Projekt mit rund 200.000 Euro vom bayerischen Gesundheitsministerium. «Das Projekt «Zurück ins Wasser – Gemeinsam Fit in Bayern» soll auch dazu beitragen, Senioren mit gesundheitlichen Einschränkungen wieder an das Schwimmen heranzuführen», sagt Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU).

Aus diesem Grund nimmt Alinde am Kurs teil. Nach zwei Stürzen und mehreren Knochenbrüchen möchte sie wieder fit werden und Muskeln aufbauen. Nun, in der neunten Kursstunde, springt sie ins Wasser als wenn nichts gewesen wäre. Regelmäßiges Schwimmen hat neben gelenkschonendem Muskelaufbau weitere positive Nebeneffekte auf die Gesundheit: Es trainiert das Herz-Kreislauf-System, baut Stresshormone ab, beugt Demenz vor – und hebt die Stimmung.

Die Teilnehmer joggen im Wasser zunächst im Kreis. «Hoch die Knie!», ruft Schwimmtrainer Manfred Lentzsch vom Seitenrand. «Und jetzt den Hampelmann!» Lentzsch findet, dass so ein Kurs längst überfällig ist. «Man muss nur mal unsere Statistik anschauen», sagt der DLRG-Mitarbeiter. Gesundheitsministerin Huml scheint derselben Meinung zu sein und hat kürzlich die Einführung weiterer Kurse in Nürnberg, Herzogenaurach, Ingolstadt und Mühldorf bekannt gegeben.

Wer ist für den Kursus geeignet

Doch nicht jeder ist für den Kurs geeignet. «Fünf der ursprünglich elf Teilnehmer mussten aufhören. Ihre Muskeln haben die Belastung nicht durchgehalten», erzählt Lentzsch. Neben der Altersbeschränkung von mindestens 65 Jahren ist es zudem Voraussetzung, bereits schwimmen zu können. «Es geht darum, das Selbstwertgefühl im Wasser zu steigern und Grundkenntnisse aufzufrischen», erklärt Lentzsch.

In den 15 Kursstunden werden Erste-Hilfe-Maßnahmen wiederholt und Tipps zur Selbst- und Fremdrettung gegeben, wie zum Beispiel der Umgang mit dem Defibrillator, Rettungsball und Rettungsring. «Unsere Teilnehmer sollen wissen: Wie verhalte ich mich bei einem Krampf? Wie verhalte ich mich, wenn sich eine Pflanze ums Bein schlängelt?»

Nach dem Aufwärmen und der Wassergymnastik mit bunten Pool-Sticks bekommen die Teilnehmer eine Schaumstoff-Nudel – Bahnenschwimmen ist angesagt. «Es hat etwas gedauert, aber jetzt schaffen alle Teilnehmer die 150 Meter.» Das sei wichtig, denn in der nächsten Stunde geht die Gruppe zum Badesee. In Seen, Teichen und Flüssen ist die Ertrinkungsgefahr am höchsten: 394 Menschen sind dort im Jahr 2018 in Deutschland ums Leben gekommen.

Alinde sei nie eine «große Schwimmerin» gewesen. Nun schwimmt sie mit ihrem Mann voraus. Die beiden sind das einzige Paar der Gruppe, alle anderen seien alleinstehend. «Eine gute Möglichkeit mit Gleichgesinnten in Kontakt zu kommen», meint Lentzsch.

In Augsburg ist von September bis Dezember ein weiterer Kurs geplant. Der Lehrstuhl für Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Universität Bayreuth begleitet die Kurse wissenschaftlich. Ob das Pilotprojekt «Zurück ins Wasser» bundesweit umgesetzt wird, hänge von den jeweiligen Landesgesundheitsministerien ab.

Fotocredits: Karl-Josef Hildenbrand,Karl-Josef Hildenbrand,Karl-Josef Hildenbrand,Karl-Josef Hildenbrand,Karl-Josef Hildenbrand
(dpa)

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