Bei Babykonzerten gibt es Klassik für die Allerkleinsten

Wiesbaden – Im Foyer des Großen Hauses am Wiesbadener Staatstheater liegen bunte, plüschige Kissen. Einige Zuschauer haben Decken ausgebreitet und die Schuhe ausgezogen.

Manche liegen mit halb geschlossenen Augen da, andere kauen auf ihrem mitgebrachten Essen herum. Wieder andere laufen vergnügt schnatternd auf und ab und erkunden den reich verzierten Raum. Die Konzertbesucher gehören zu den allerjüngsten: «Brüderchen komm tanz mit mir» heißt das Programm für Kleinkinder bis drei Jahre.

Anfassen erlaubt

Vor den Musikern liegen ein Vogelkäfig, Block- und Holzflöten, ein Plastik-Saxophon oder bunte Plakate mit Instrumenten drauf. Anfassen ausdrücklich erlaubt. Die drei Querflöten spielen Musik von Humperdinck über Strauß bis Mozart. «Die Stücke dürfen nicht zu lang sein», erklärt Gisela Reinhold ihre Auswahl. Sie organisiert die Reihe und führt charmant durch den Vormittag. Außerdem sollen verschiedene Klangfarben vertreten sein, also zum Beispiel mal ein Solo oder ein Duett. Kurze Gedichte oder Fingerspiele gehören ebenfalls zum Programm.

«Babykonzerte» seien im Kommen, erklärt der Deutsche Bühnenverein, wenngleich ihre Zahl statistisch nicht erhoben wird. Auch andere hessische Einrichtungen haben die ganz junge Zielgruppe für sich entdeckt. In der
Alten Oper in Frankfurt gibt es seit der Saison 2012/13 das Pegasus-Programm. Für die Kleinsten – sie werden hier «Entdecker» genannt – stehen mittlerweile 36 Konzerte pro Spielzeit auf dem Programm. Die Hälfte ist für Krippengruppen, die andere Hälfte für Kleinkinder mit ihren Eltern.

Harmonische Musik

In
Wiesbaden startete das Theater vor etwa vier Jahren einen ersten Versuch mit Babykonzerten, berichtet Reinhold. Die 50 Karten waren im Nu ausverkauft. Vier bis fünf Termine pro Spielzeit gibt es mittlerweile, die maximal 120 Plätze im Foyer des Staatstheaters sind meist lange im Voraus belegt. Die Karten kosten rund drei Euro. «Die Kinder reagieren positiv auf harmonische Musik, sie sollte nicht zu dissonant sein», hat Reinhold beobachtet.

Die Auswirkungen von Musik auf die Entwicklung von Kindern ist wissenschaftlich noch Gegenstand intensiver Forschung, erläutert Hirnforscher Manfred Spitzer. Es gebe eine Reihe von Hinweisen darauf, dass Musik tatsächlich die Gehirnentwicklung fördert. «Wichtig ist, dass die positiven Effekte beim aktiven Musizieren, also nicht beim passiven Konsumieren von Musik gefunden wurden», klärt der Ärztliche Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm auf. Damit Musik sich positiv auf Kinder auswirke, müsse man mit ihnen singen und spielen.

Musik tut gut

«Es ist sehr wichtig und natürlich, dass man mit Kindern spielt und singt», sagt auch der Kinder- und Jugendarzt Stephan Heinrich Nolte aus Marburg. Das hält er für wertvoller als schon mit Säuglingen oder Kleinkindern Konzerte zu besuchen. «Musik tut uns gut», ist der Arzt sicher. Für das Gehör der Kleinsten sei das auch nicht schädlich, solange die Musik nicht zu laut sei.

Kerstin Bicsák kommt aus Wiesbaden und ist mit ihrer Tochter Lily zum ersten Mal beim «Babykonzert». Ihr Mann Mátyás Bicsák ist einer der Flötisten. «Lily mag Musik», sagt Bicsák über ihre 14 Monate alte Tochter. Tatsächlich ist Lily während des Konzerts ziemlich fasziniert von dem, was ihr Vater da so tut. Sie klammert sich abwechselnd an seinem Bein oder am Notenständer fest. Bicsák – ganz Profi – lässt sich davon jedoch nicht beirren.

Auch Eltern haben ihren Spaß

«Die Musik ist mir zu lang», sagt plötzlich ein Junge in einem schicken weißen Hemd laut und deutlich. Belustigtes Kichern der Eltern ist die Antwort. Dass die auch ihren Spaß am Konzert haben, zeigt sich in Gesprächen hinterher. Elisabeth Gründer etwa bedankt sich bei Gisela Reinhold für den schönen Vormittag. «Ich selbst vermisse es sehr, in die Oper oder in ein Konzert zu gehen, das war jetzt für mich eine gute Gelegenheit», gibt sie zu.

Gründer kommt aus der Nähe von Zürich und besucht gerade ihre Eltern in Rüsselsheim. «Die Atmosphäre war einzigartig», meint sie. «Ich fand es beeindruckend, wie ruhig es war.» Es sei faszinierend zu sehen, welche Wirkung die Musik auf die Kinder habe. Wenn ihre 14 Monate alte Tochter Magdalena etwa im Auto unruhig werde, spiele sie ihr klassische Musik vor. «Vielleicht wird sie so auch etwas ausgeglichener.»

Fotocredits: Andreas Arnold
(dpa)

(dpa)

Related posts

Comment