#MeToo, wir alle – der neue Aufschrei

Berlin – Es ist der herabwürdigende Kommentar. Die scheinbar zufällige Berührung. Und manchmal ist es auch die pure körperliche Gewalt. Wer liest, was Frauen unter #MeToo schreiben, dem muss es kalt den Rücken runter laufen.

Das Echo auf das Hashtag, das Schlagwort im Netz, das der Skandal um den Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein ausgelöst hat, ist bemerkenswert. Hunderttausende Frauen teilen ihre Erfahrungen mit Chauvinismus, Sexismus und sexualisierter Gewalt. Über vier Jahre nach der «#Aufschrei»-Debatte gibt es also einen neuen Aufschrei – eine neue Diskussion über Frauen, Männer, Gleichberechtigung – und den respektvollen Umgang miteinander. Verändert sich etwas – oder treten wir auf der Stelle?

Ausgelöst hat die neue Debatte ein Mann, der ganz weit weg ist – in Hollywood. Harvey Weinstein soll Schauspielerinnen sexuell belästigt und vergewaltigt haben – der Produzent bestreitet die Vorwürfe. Viele Darstellerinnen machten ihre Erfahrungen im Filmgeschäft öffentlich. Doch das ganze wurde schnell noch größer – und erinnert an den Aufschrei, der im Jahr 2013 durch Deutschland ging. Unter dem Hashtag #Aufschrei war damals eine Debatte über Sexismus in der Gesellschaft losgebrochen. «Viele lassen sich auch vom Mut anderer anstecken, die unter dem Hashtag über ihre Erfahrungen schreiben», sagt Anne Wizorek, die die #Aufschrei-Debatte damals mitinitiiert hat.

Doch kann ein
#MeToo etwas verändern – für die ganz normale Frau, die nicht im Scheinwerferlicht steht? Wizorek betont, dass Sexismus nicht das Problem einer bestimmten Industrie sei, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Außerdem dürfe man die Breitenwirkung der Aktion nicht unterschätzen. «Die Botschaft ist: Du bist nicht allein. Du bist nicht schuld. Du kannst dir Hilfe holen.» Ein Hashtag wie #MeToo könne zu diesem Bewusstsein etwas beitragen.

«Wir müssen uns bei diesen Fällen immer wieder fragen und thematisieren: Was ist der Nährboden hierfür? Was können wir als Gesellschaft tun, um diese Gewalt zu verhindern?», sagt Wizorek. Doch sie betont auch, dass viele Betroffene mit ihren Veröffentlichungen eine Arbeit leisten, die eigentlich aus der gesamten Gesellschaft kommen müsse – eine Arbeit, die nicht von ihnen erwartet werden darf.

Schließlich müssen sich viele Frauen auch Kritik im Netz gefallen lassen. Geh doch zu Polizei, schreiben die einen. Immer sind die Männer die Bösen, die anderen. «Betroffene sollten erst gar keine Angst haben müssen, sich zu äußern, geschweige denn dadurch zum Ziel für erneute Angriffe zu werden», sagt Wizorek.

Stevie Schmiedel sieht durchaus auch Gefahren bei der Aktion. Sie ist Gründerin der Initiative
Pinkstinks, die gegen Sexismus in Medien und Werbung kämpft. «Ich will niemanden kritisieren, der sich an der Aktion beteiligt», betont sie. Aber es dürfe für Frauen auch kein Druck entstehen – mitmachen zu müssen – auch eine schreckliche Erfahrung mit der Welt zu teilen, um ein Zeichen zu setzen. «Immer wieder dieses emotionale Nackigmachen – muss das sein?», fragt sie.

Doch drehen wir uns nicht im Kreis – wenn Frauen ihre Erlebnisse immer wieder im Netz veröffentlichen müssen, um das Problem sichtbar zu machen? «Nein, seit dem Aufschrei ist viel passiert», findet Schmiedel. Im Bewusstsein vieler habe sich etwas geändert. Gefragt sei natürlich immer auch die Politik – oder etwa auch die Firma, in der man arbeite. «Einen Harvey Weinstein kennt leider jeder in seiner Branche», sagt sie.

Schmiedel fordert einen «Feminismus für Jungs». Eine Gesellschaft, in der Männer auch mal weich sein dürfen – und nicht beigebracht bekommen, übertriebenes Machogehabe sei männlich. Die Geschlechterforscherin
Prof. Katja Sabisch von der Universität Bochum sagt: «Bestimmte Verhaltensweisen werden in unserer Gesellschaft erlernt – daran muss sich etwas ändern.» Leider sei es normal, das viele junge Mädchen denken: Ich muss mich immer ansprechen lassen. Oder: Das ist okay, wenn der mich so anguckt. Genau wie Jungs glauben sie, ein bestimmtes Verhalten werde von ihnen erwartet.

Schwierig sei es außerdem, immer nur Frauen und Mädchen ins Zentrum dieser Debatte zu stellen, findet Prof. Sabisch. Sie ist der Ansicht, jetzt seien die Männer mal dran. Sabisch wünscht sich, dass sich ein neues Hashtag durchsetzt. Ein Hashtag, bei dem die Männer den Mund aufmachen, sich austauschen – über ihre Rolle, welchen Einfluss sie haben – und wie es respektvoller in unserer Gesellschaft zugehen kann. Für alle.

Fotocredits: Christian Charisius
(dpa)

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