Kekse, Autos, Urnen: Das Internet der Individualisierung

Brilon – Sie sind lange haltbar, lassen sich auch in kleinen Mengen gewinnbringend produzieren und sind robust im Versand. Gregor Stapper aus dem sauerländischen Städtchen Brilon kennt die Vorzüge von Keksen genau.

Schließlich verdient der Bäckermeister sein Geld mit ihnen – mit einem Online-Versandhandel, in dem es individuell gestaltbare Kekse zu kaufen gibt.

Doch nicht nur das Gebäck lässt sich heute nach eigenen Wünschen im Netz zusammenstellen. Exotisch geht es auch bei anderen Lebensmitteln zu: Eine Leberwurst mit Champignons oder Banane?
Maultaschen mit Blutwurst und Apfel? Alles machbar.

Wer im Netz lange genug sucht, findet für fast alles eine Seite zum Selbstgestalten: Kinderbücher, Urnen oder Kratzbäume. Manches scheint eher skurril als nützlich. «Das es das gibt, heißt ja nicht, dass es sinnvoll ist. Vieles ist auch sehr in der Nische», sagt Professor Frank Piller von der RWTH Aachen. Er forscht seit Jahren über die Produktion von Waren nach individuellen Kundenwünschen.

Digitale Konfiguratoren stammen aus dem Maschinenbau und der Medizintechnik und liefen dort zuerst auf den Computern der Vertriebler, erzählt Piller. Gegen Ende der neunziger Jahre gingen erste Webseiten online. Einer der ersten Anbieter bot individualisierbare Schuhe an – doch es war noch zu früh. «Die Leute haben sich nicht einmal getraut, im Internet ein Buch zu bestellen – geschweige denn, einen Konfigurator zu nutzen», sagt Piller.

Heute ist das anders. Mit der zunehmenden Individualisierung von Produkten steige auch die Verbreitung von Online-Konfiguratoren, sagt Frank Termer vom IT-Verband Bitkom. Populäre Beispiele sind der Schuh-Konfigurator des Sportartikelriesen
Nike oder der Cerealienmischer von Mymuesli. Viele Autokäufer bestellen ihr Wunschfahrzeug längst im Netz, bevor sie zum Händler gehen – oder es gleich via Internet ordern.

«Die Bedürfnisse der Kunden werden individueller», sagt Ralf Scharnhorst vom Deutschen Marketing Verband. Ihm zufolge sind die Online-Konfiguratoren auch ein Sprung zurück in die Zeit vor der industriellen Massenfertigung. Heute sei es möglich, viele Güter passgenau herzustellen und dabei dennoch profitabel zu sein.

Bäcker Stapper etwa baute eine Maschine, um Muster in
Kekse prägen zu können. Diese sei beim Patentamt zur Vorlage angemeldet. Auch die richtige Teigmischung galt es zu finden. Der Teig müsse die Konturen halten. Um die hundert Versuche habe er gebraucht, bis die Mixtur gepasst hat, erzählt der 31-jährige Bäckermeister.

Doch Konfiguratoren dürfen Kunden auch nicht überfordern. «Das ist so eine Gratwanderung», sagt Piller. So darf die Zahl der Auswahlmöglichkeiten nicht zu groß sein. Zudem sollte der Nutzer die Reihenfolge der Gestaltung bestimmen können – etwa beim Maßhemd: Der eine Nutzer will den Kragen wählen, der andere nur Muster und Farbe gestalten. Wenn er sich vorher erst durch viele Kragenvarianten und Passformen klicken muss, bricht er schlimmstenfalls genervt ab.

Bei Stappers Keksen lässt sich das Gebäck mit Mustern verzieren. Wer kein eigenes Bildmotiv weiß, kann aus 130 Stück auf der Webseite wählen: vom Schnurrbart über einen Backenzahn bis zum Kinderwagen reicht die Palette. Auch eine Schrift kann der Bäckermeister auf den Keks bringen. 750 Gramm Kekse kosten ab rund 20 Euro.

Privatkunden kauften sein Gebäck als Geschenk, Firmen als Werbeartikel – und zwar etwa 50:50, sagt Stapper. Wobei gewerbliche Bestellungen wegen des größeren Umfangs mehr Umsatz brächten. Habe er anfangs 100 bis 500 Kekse am Tag gebacken, seien es heute 3000 bis 5000. In der Backstube steht der Bäckermeister noch allein.

Für Firmen in der Nische können Konfiguratoren eine Chance sein. Doch Marketing-Experte Scharnhorst sieht Grenzen: «Den Umsatz damit zu steigern, ist nicht so leicht, wie man denkt.» Für Firmen seien sie vor allem eine Chance, Kunden zu binden und besser kennenzulernen.

Dabei funktioniert ein Konfigurator wie Marktforschung. Denn wer die Kunden gut kennt, kann so auch neue Produkte entwickeln.
Mymueslietwa verkaufe viele fertige Mischungen, sagt Professor Piller. «Die wissen, was für Kombinationen gut funktionieren und bieten diese an.» So hat es die Firma ins Sortiment großer Einzelhändler geschafft und beschäftigt nach eigenen Angaben über 800 Mitarbeiter in 50 Läden.

Wo geht die Entwicklung hin? Mit einem speziellen Programm kann etwa ein Tischler online einen 3D-Konfigurator für Möbel anbieten, mit dem Nutzer passgenaue Tische oder Schränke entwerfen können. Auch die immer ausgereiftere 3D-Druck-Technik macht mehr Sonderwünsche möglich. Jedoch müssen Forschung und Industrie hier aus Sicht von Piller noch praktischere Lösungen finden. «Fast alle Konfiguratoren in dem Bereich sind noch zu kompliziert.»

(dpa)

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