Das geheime Leben der Schlafwandler

München – Während andere tief und fest schlafen, laufen sie oft zur Hochform auf, wenn auch unfreiwillig: Schlafwandler. Sie gehen spazieren, fahren Auto, essen, putzen, kochen und manche werden sogar gewalttätig – ohne sich dessen bewusst zu sein.

Rund vier Prozent aller Erwachsenen sind nach Schätzung von Wissenschaftlern auf diese Weise aktiv, bei Kindern im Alter von 10 Jahren sind es sogar mehr als 13 Prozent. Eine gefährliches Phänomen. «Die sprichwörtliche schlafwandlerische Sicherheit gibt es nicht», warnt Alfred Wiater von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (
DGSM) mit Sitz im hessischen Schwalmstadt-Treysa. Kein Wunder, dass so mancher im Tiefschlaf in die Schlagzeilen gerät.

Was Schlafwandlern alles passieren kann

«Schlafwandelnder Tourist löst Polizeieinsatz aus», hieß es etwa am 18. Januar bei der Deutschen Presse-Agentur. Eine Zeitungsausträgerin hatte morgens um 3.00 Uhr in Oberstdorf im Allgäu einen völlig durchgefrorenen Iren entdeckt, der sich bei seinem unfreiwilligen Ausflug aus seiner Ferienunterkunft ausgesperrt hatte. Und eine Frau in Bremen fand im Juli morgens einen Fremden in ihrem Haus, barfuß und in Boxershorts. Ein junger Mann sei ihr zugelaufen, erklärte die 79-Jährige der Polizei. Wie er in das Haus gekommen war? Keine Ahnung. Der 25-Jährige konnte sich nur daran erinnern, dass er abends mit seinem Vater einen Film angeschaut hatte. Harmlos im Vergleich zu dem Erlebnis des britischen Abenteurers David Hempleman-Adams. Im Frühsommer 2000 reiste er zum Nordpol, als er im Schlaf aus dem Korb eines Freiballons aussteigen wollte, 1300 Meter über der Arktis. Sein Glück: Er war mit einem Sicherheitsgurt angeschnallt.

Die typische Zeit fürs Schlafwandeln ist nach Meinung von Experten der Übergang vom ersten Tiefschlaf in die erste Traumschlafphase, also etwa ein bis eineinhalb Stunden nach dem Einschlafen. Im Gehirn mischten sich Komponenten des Wachseins zum Tiefschlaf, ohne dass der Betroffene komplett wach werde, heißt es bei der DGSM. Stress und Schlafstörungen könnten Ursachen sein, mitunter sei die Neigung auch vererbt. «Interessant ist, dass diese Person wesentlich tiefer schläft als sie sonst im Tiefschlaf schlafen würde», erklärt der Psychologe Mitja Seibold. Deswegen sei es auch besonders schwer, eine schlafwandelnde Person aufzuwecken.

Schlafwandeln bei Kindern und Jugendlichen

Auch Kilian aus der Nähe von München gehört zu den Schlafwandlern. Das passiere nicht regelmäßig, aber ab und zu, gibt der 14-Jährige zu. Einmal stand er in einer Vollmondnacht im Garten. Seine Eltern wurden durch das Klappern der Terrassentür wach, holten den damals Vierjährigen wieder ins Haus und verriegelten fortan alles. Doch nicht bei allen Kindern laufen diese Ausflüge so glimpflich ab. Im Juni 2017 etwa war ein damals Zweijähriger im Ostallgäuer Luftkurort Nesselwang durch die Haustür geschlüpft und losmarschiert. Bald darauf stand er jämmerlich schreiend auf der dunklen Straße: «Mama». Als das Kind wieder mit seiner Mutter vereint war, wurde klar: Der Knirps war 300 Meter weit gelaufen.

«Bei Kindern und Jugendlichen gilt Schlafwandeln in der Regel als vorübergehendes Entwicklungsphänomen», beruhigt der Schlafmediziner Wiater. «Sorgen bereiten sollte die Tatsache, dass während des Schlafwandelns die Schmerzempfindlichkeit herabgesetzt ist und es zu Selbstverletzungen kommen kann.» Sein Tipp: Alles absichern, «gerade auch in fremder Umgebung». Und Schlafwandler nicht aufwecken, auch weil manche aggressiv reagieren. Stattdessen solle man beruhigend auf den Betroffenen einwirken und ihn wieder ins Bett geleiten. Psychologische Hilfe sei nur in sehr ausgeprägten Fällen zu erwägen.

Wenn Betroffene sich woanders wiederfinden

Kilian ist in dieser Hinsicht ruhiger geworden. Ganz vorbei ist es mit dem Schlafwandeln bei ihm aber noch nicht, findet er sich doch morgens mitunter an ungewöhnlichen Orten wieder, etwa auf dem Fußboden vor dem Fenster oder unter dem Schreibtisch. «Ich merke, dass ich woanders aufwache, als ich eingeschlafen bin und dann wundere ich mich schon ein bisschen», sagt er. Seine Veranlagung nimmt er mit Humor, ebenso wie die Tatsache, dass er im Schlaf gerne lacht und redet.

Manche betreiben das Schlafwandeln allerdings obsessiv, so wie Robert Wood aus Schottland. Wie viele Leidensgenossen verrichtete auch er ganz alltägliche Dinge. Für den Koch hieß das: Im Tiefschlaf am Herd stehen, vier bis fünf Mal die Woche, wie die britische Zeitung «The Guardian» 2006 berichtete. Seine Frau beobachtete ihn: Er habe schon Omelettes gebraten, Spaghetti gekocht und die Fritteuse angeworfen. Das Essen sehe hervorragend aus, wird die Frau zitiert. Probieren wollte sie die schlafwandlerisch zubereiteten Speisen allerdings trotzdem nicht, sicher ist sicher.

Fotocredits: Sven Hoppe
(dpa)

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