Einzignaht macht besondere Kleidung für besondere Kinder

Hamburg – Der Body, den Sandra Brunner in der Hand hält, sieht ganz normal aus. Die kleine Öffnung auf der Vorderseite fällt kaum auf. Doch genau diese Öffnung macht das Kleidungsstück so besonders. Denn der Body ist maßgeschneidert für ein Kind mit Magensonde.

Für Behinderte gebe es einfach keine passende Kleidung, ganz abgesehen davon, dass man mit einem intensivpflegebedürftigen Kind nicht einfach mal shoppen gehen könne, sagt Sandra Brunner. Ihr zweites Kind, die inzwischen dreijährige Laura, kam mit dem Williams-Beuren-Syndrom zur Welt, einer seltenen Generkrankung. Laura entwickelt sich verzögert und ihre Proportionen unterscheiden sich von denen gleichaltriger Kinder.

Suche nach passender Kleidung

Bei der Suche nach passender Kleidung für ihr Kind verzweifelten die Brunners zunehmend – bis Sandra die Sache selbst in die Hand nahm und sich mit einem Youtube-Tutorial das Nähen beibrachte. «Es kann nicht sein, dass wir zum Mond fliegen können, und ich finde für meine Tochter keine Klamotten.» Damit war die Idee für das Start-up Einzignaht geboren.

Seitdem stellt sie Maßanfertigungen für «besondere» Kinder her, wie sie sagt. Da ist das Kind mit Glasknochenkrankheit, für die sie eine Wickeljacke anfertigt, so dass beim Anziehen keine Knochen brechen können. Das Mädchen mit einer Atemöffnung im Hals bekommt einen Schal, der den Luftröhrenschnitt freilässt. Für Kinder mit Hautkrankheiten werden die Nähte so gesetzt, dass sie nicht scheuern können. Und natürlich die Sondenbodies, bei denen die Schläuche so verschwinden, dass keine Unfälle passieren und die Eltern ihr Kind trotzdem unkompliziert versorgen können.

Jedes Stück ist handgemacht

Jedes Stück ist handgemacht und wird individuell auf die Bedürfnisse des Kindes zugeschnitten. Bis dahin gebe es viele Gespräche mit den Eltern, persönlich, telefonisch oder per WhatsApp-Sprachnachricht, erzählt das Paar. Die Eltern seien so dankbar, wenn sie merken, dass sie ihre Wünsche äußern könnten und jemand sie versteht. Gerade weil das Ehepaar Brunner durch die kleine Laura ähnliche Erfahrungen gemacht haben, breche das Eis immer sehr schnell.

«Wir haben eine gemeinsame Sprache», sagt Christian Brunner, der sich bei dem Start-up um das Marketing kümmert. Dazu gehört auch eine gewisse Direktheit: «Ich rede nicht vorsichtig, ich nehme auch das Wort «Behinderung» in den Mund. Daran ist nichts Schlimmes, schlimm ist nur, was die Gesellschaft daraus macht», erklärt seine Frau.

Zum Jahresende 2017 lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes knapp 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland, darunter rund 127.000 in Hamburg. Natürlich sei das kein so großer Markt wie die Textilbranche für gesunde Menschen, sagt Christian Brunner. Allerdings gebe es zum einen eine hohe Dunkelziffer, da nicht alle Eltern ihr Kind als behindert melden wollen. Außerdem wollen die Brunners auch die Menschen ansprechen, die vielleicht keine Behinderung haben, aber krank sind oder andere besondere Bedürfnisse haben. Irgendwann hoffen sie, auch in die Benelux-Staaten und nach Skandinavien liefern zu können.

Erste Kollektion

Brunners sind ambitioniert – mit gutem Grund: «Natürlich wollen wir etwas fürs Herz machen, aber wir wollen auch noch übermorgen für unsere Kunden da sein und deshalb müssen wir wirtschaftlich tragbar sein», erklärt Christian Brunner. Im Frühjahr haben sie mit ihrem Projekt den Businessplan-Wettbewerb Gründergeist gewonnen. Aktuell läuft eine Crowdfunding-Kampagne für Einzignaht. Das erste Finanzierungsziel von 9800 Euro haben sie bereits erreicht, so dass sie nun ihre erste Kollektion schneidern können.

Bis zum 31. Oktober wollen sie das zweite Finanzierungsziel erreicht haben: Dabei sollen insgesamt 15.800 Euro zusammenkommen, damit sie ein Nähatelier für behinderte Menschen eröffnen können. Sie zielen vor allem auf die Personen ab, die in den klassischen Behindertenwerkstätten unterfordert und im normalen Alltag überfordert sind. Das wäre ein Novum für Hamburg, denn nach Angaben der Handwerkskammer gibt es in der Hansestadt bislang keinen Schneiderbetrieb, der mit behinderten Menschen arbeitet.

Im Juni 2019 waren nach Angaben der Agentur für Arbeit in Hamburg rund 3050 Menschen mit Behinderung arbeitslos gemeldet. Dabei müssen Unternehmen, die mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigen, eigentlich fünf Prozent ihrer Belegschaft durch Menschen mit Behinderung besetzen. Knapp über 11.000 Stellen blieben nach Angaben der Agentur für Arbeit in den vergangenen Jahren allerdings offen, so dass die Arbeitgeber eine Ausgleichsabgabe zahlen mussten.

Die Brunners sind nicht die ersten, die Kleidung für Behinderte vertreiben. Vor allem für die Bedürfnisse von Rollstuhlfahrern gibt es bereits einige Online-Shops oder spezialisierte Läden. Aber das Ehepaar aus Bergedorf ist überzeugt: So individuell und nachhaltig wie sie macht das sonst niemand. «Wir wollen nichts beschönigen, das ist keine schöne Situation, für niemanden», sagt Christian. «Aber man kann sie schön machen», ergänzt seine Frau.

Fotocredits: Georg Wendt,Georg Wendt,Georg Wendt
(dpa)

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