Kids unter Druck: Belastung für Kinder steigt

München (dpa) – Die Matheprüfung. Ein Berg von Hausaufgaben. Bauchweh. Angst. Leistungsdruck kommt immer öfter und immer früher bei Kindern an. Sie müssen häufiger Trennungen der Eltern verkraften. Oder Mobbing.

Hänselten sich Schüler früher auf dem Pausenhof, so sind Gemeinheiten heute oft unauslöschlich im Internet manifestiert. Der Selbstmord der Amanda Todd, die als Zwölfjährige arglos in einem Chat per Webcam vor einem Fremden ihren Oberkörper entblößte und sich nach der Veröffentlichung der Fotos durch den Mann im Alter von 15 Jahren umbrachte, hat Schlagzeilen gemacht.

Haben Kinder es heute schwerer? Sind sie psychisch kränker? Studien weisen in diese Richtung. Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) legte dieser Tage einen Bericht zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen vor. Nach Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns und von Krankenkassen hat rund ein Viertel der Heranwachsenden psychische Probleme oder Entwicklungsstörungen.

Erschreckende Zahlen. Sie bedeuteten aber nicht, dass jedes vierte Kind krank sei, sagt Berthold Koletzko vom Haunerschen Kinderspital der Universität München. Es handele sich um Auffälligkeiten. «Solche Dinge werden heute ernster genommen.» Und damit öfter festgestellt. «Es ist aber auch so, dass Kinder mehr Belastungen haben.»

Stress: «Manchmal, wenn wir so viele Hausaufgaben aufhaben und viel lernen müssen, dann fühle ich mich unter Druck», sagt der elfjährige Kilian. Er gönnt sich dann eine Pause. Noah (8) hat Angst «vor Alpträumen und wenn ich abends alleine ins Bett muss». Jonathan (7) treibt die Lage in der Welt um. «Ich habe Angst vor einem Krieg. Weil da ganz viele Menschen sterben. Weil sie mit Pistolen und Gewehren schießen. Ich denke oft über die Toten nach.» Am liebsten, sagen sie, sind sie zuhause oder bei Freunden. Kilian: «Am wichtigsten ist, dass ich Zeit habe.» Lange Schultage, wenig Freizeit.

Koletzko sagt: «Man muss mehr tun in der Prävention – Kinder, Jugendliche und Familien unterstützen und stärken, und die Belastung in der Schule mindern.» Schulangst, Schlaf- und Lernprobleme, Essstörungen. Hyperaktivität, Antriebsschwäche. Zu «erwachsene» Kinder, die nicht mit ihresgleichen spielen mögen; Kinder, die allzu bereitwillig für andere da sind. Die Spanne ist breit. Wissenschaftler beschreiben eine «neue Morbidität», mit einer Verschiebung von körperlichen Krankheiten hin zu Problemen bei psychischer Entwicklung, Emotionalität und Sozialverhalten.

Laut der bayerischen Studie sind bei Klein- und Vorschulkindern Entwicklungsstörungen die häufigste Diagnose. Zwischen 7 und 14 Jahren gewinnen Verhaltens- und emotionale Störungen an Bedeutung. Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS macht gut die Hälfte der Diagnosen aus. Bei den 15- bis unter 18-Jährigen kommen Depressionen dazu. Koletzko warnt gerade bei ADHS vor voreiligen Schlüssen. «Diese Diagnose ist sehr schwer zu stellen. Die Abgrenzung zwischen einer Überlastung und einer echten Krankheit ist nicht immer einfach.»

Auch der Münchner Therapeut Klaus Neumann sagt: «Man sollte vorsichtig sein, was man misst.» Würden etwa Grenzwerte für Cholesterin verändert, «weist die Statistik prompt nach, dass die Cholesteringefährdung enorm zugenommen hat».

Manches resultiere aus der Sicht Erwachsener daraus, dass Kinder und Jugendliche es heute schwerer haben – weil sie selbst es heute schwerer hätten, etwa beim Zurechtfinden in einer digitalisierten Welt. Auch Neumann sieht eine zunehmende Belastung. Und: «Dazugehören verläuft immer mehr über Äußerlichkeiten», sagt der Beauftragte im Berufsverband Deutscher Psychologen für Kindesrechte. «Wir haben im Moment mit der Gesellschaft einen Kampf auszustehen, was wirklich zählt. Und da sind die Kids allein gelassen. Alte Rollenbilder sind ins Wanken gekommen. Aber es hat sich noch nichts Neues etabliert.»

Neumanns «Diagnose»: «Die Pathologisierungsgrenze ist nach unten gesenkt. Die Besorgnisintensität von Eltern ist nach oben gestiegen.»

Koletzko verweist auf Verbesserungen beim Rauchen und beim Alkohol. Laut der Studie gingen Einweisungen infolge von Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen in Bayern zurück. Der Anteil der Raucher von 12 bis 17 Jahren sank laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung um fast zehn Prozent. Koletzko: «Das sind Erfolge der Prävention.»

Fotocredits: Axel Heimken

(dpa)

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