Stuttgart (dpa) – Es ist ein Alptraum für jeden Anlageexperten großer Banken. Im Internet bieten «Social Trading»-Plattformen Anlagemöglichkeiten an, bei denen Profis ersetzt werden durch Amateure – Hobby-Broker geben den Takt an.
Die Kosten sind niedriger, weil ja die Stelle des Beratungsprofis in dem neuen Geschäftsmodell überflüssig ist. Wikifolio, eToro, Zulutrade oder Ayondo heißen die Firmen, die seit einigen Jahren am Markt sind und nach eigenem Bekunden großen Erfolg haben. «Es läuft super, es geht gar nicht besser», sagt der Deutschland-Chef von eToro, Gabriel Michaeli. Verbraucherschützer sehen den Erfolg der Firmen hingegen mit Sorge.
Das Geschäftsmodell ist simpel: Die Anbieter vermitteln Ideen von Hobbybrokern und kassieren dafür Gebühren. Jeder Mensch, der sich zum Anlageexperten berufen sieht, kann sich beim «Social Trading» (wörtlich: sozialer Handel) als Wertpapierhändler registrieren lassen. Viele dieser Broker waren den Anbietern zufolge zwar in der Bankenwelt tätig oder sie haben als BWL-Studenten Wirtschaftskenntnisse – ein Muss ist das aber nicht.
Diese Händler legen sodann ihre Anlageentscheidungen offen und begründen sie. Läuft die Anlage gut, legen andere Nutzer – auch Follower genannt – ihr Geld genauso an. Dafür zahlen sie Gebühren.
Wikifolio-Chef Andreas Kern schwärmt von einer «Vielzahl an Anlagestrategien, die völlig transparent sind – man sieht jeden Kauf oder Verkauf, man sieht Kommentare, man kann das mit anderen Anlagemöglichkeiten vergleichen». Sein Wiener Unternehmen mit 35 Mitarbeitern ist erst seit 2012 richtig am Start, mehr als 60 000 Nutzer haben sich inzwischen registriert. Da man aber auch ohne Konto auf die Wikifolio-Infos zurückgreifen kann, schätzt der 42-jährige Österreicher die Zahl der Nutzer auf mehr als eine Million. Es gebe eine «rasante Wachstumskurve». 4000 Zertifikate bietet Wikifolio inzwischen an, die an der Stuttgarter Börse gehandelt werden.
Auf der Stuttgarter Finanzmesse Invest trafen sich die Vertreter der «Social Trading»-Plattformen kürzlich, die Messe hatte den Fintechs – also generell neuen Finanzdiensten im Internet – einen Schwerpunkt gewidmet. Auf den zahlreichen Podiumsdiskussionen traten viele Fintech-Vertreter und Aktienhändler auf und warben mit der Verlockung des schnellen Geldes. Das kam beim Publikum gut an, der Andrang bei den Veranstaltungen war immens.
Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg sieht das Geschäftsmodell indes äußerst skeptisch. «Die höchsten Renditen sind nur mit wilder Zockerei erzielbar – das ist keine seriöse Anlagestrategie», meint Nauhauser. Da Beratung fehle, könnte die Werbung zudem unrealistische Erwartungen wecken.
Auch der Stuttgarter Wirtschaftsprofessor Henry Schäfer sieht die neuen Finanzdienste kritisch. Ohne Berater sei der Anleger vollkommen auf sich gestellt. Schäfer bezweifelt, dass mehr Transparenz unbedingt zu besseren Anlagen führe. «Mehr Infos, zufriedenere Kunden, so einfach ist die Welt nicht.» Ähnlich sieht das Verbraucherschützer Nauhauser. Nur weil Handelsentscheidungen einsehbar seien, «heißt das nicht, dass Zockerei ausgeschlossen ist».
Vor allem sogenannte CFDs sind Nauhauser ein Dorn im Auge – «Contracts for Difference». Bei den Finanzinstrumenten setzt man auf den Verlauf von Kursen. Geht die Wette auf, gibt es Gewinne – geht sie daneben, Verluste. Über Hebel kann man Risiko und Chancen vervielfältigen.
Nach Ansicht der deutschen Bankenaufsicht Bafin sind CFDs «krass spekulative Finanzinstrumente». Einer Studie der französischen Finanzmarktaufsicht AMF zufolge sind zwischen 75 und 89 Prozent der CFD-Investoren auf der Verliererstraße, die Gewinne verteilten sich also «sehr ungünstig für Kunden». Warum der Laden dennoch brummt? Verbraucherschützer Nauhauser hat eine einfache Erklärung parat: «Glücksspiel zieht Menschen nun mal an.» Seine Empfehlung: «Wer Geld übrig hat zum Spielen, kann auf CFDs setzen oder ins Casino gehen – im Casino sind die Gewinnchancen allerdings fairer verteilt.»
Zockerei? Ayondo-Gründer Thomas Winkler schüttelt den Kopf. «Das ist eine ganz falsche Aussage.» CFD seien «smart contracts», durchdachte Verträge, deren Kosten sehr niedrig seien. Allerdings räumt der Schweizer aber ein: «CFDs können missbraucht werden zur Zockerei.»
Zu Gast bei der Invest war auch der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup. Angesprochen auf «Social Trading» sagte er, mündige Anleger seien doch frei, um selbst zu entscheiden. «Jeder kann sein Geld vermehren oder verbrennen, wie er will.»
Aber boomt die Nischenbranche wirklich, wie es deren Vertreter unisono sagen? Indizien dafür gibt es, Beweise jedoch nicht. Denn so sehr die Firmen auf transparente Produkte setzen, sie selbst sind es bei der Kommunikation von Unternehmenszahlen nicht. Man gebe nicht alle Zahlen heraus, auch mit Blick auf die Konkurrenz – «um uns zu schützen», sagt Winkler.
Fotocredits: Wolf Von Deitz
(dpa)